Soziale Arbeit unter Druck
Ob wir auf die Kindertageseinrichtungen, den Offenen Ganztag, Pflegeheime, Angebote für Menschen mit Behinderungen, auf Hilfen für Geflüchtete oder die Schuldnerberatung schauen: Die Bedingungen, unter denen soziale Arbeit geleistet werden, sind vielerorts prekär und unterfinanziert. Viele Träger stehen mit dem Rücken zur Wand, müssen Öffnungszeiten reduzieren, Angebote schließen und sind sogar von Insolvenz bedroht.
Soziale Infrastruktur erhalten
In diesem Jahr haben wir den Druck noch einmal verstärkt und insbesondere auf die schwierige Situation in der Altenpflege aufmerksam gemacht. Zusammen mit den Diözesan-Caritasverbänden Münster und Paderborn sind wir vor den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und die Pflegekasse IKK classic in Münster gezogen, um gegen den Verhandlungsstau bei den Entgeltverhandlungen in der Altenpflege zu protestieren. In einer Resolution wurde der Landschaftsausschuss des LWL dazu aufgefordert, die Bürokratie grundlegend zu verschlanken und gemeinsam mit Leistungserbringern auf eine effektive Lösung hinzuwirken. Die Demonstration mit 500 Teilnehmenden war Höhepunkt einer Aktionswoche der Freien Wohlfahrtspflege NRW, die sich unter dem Motto "Black Week" für den Erhalt der sozialen Infrastruktur in unserem Land stark gemacht hat. Mit demselben Ziel wurden zudem fast 30.000 Unterstützerstimmen gesammelt und an die Landesregierung übergeben.
Genützt hat es auf den ersten Blick wenig, denn im Sommer wurde bekannt, dass der jüngste Entwurf des Landeshaushalts eine Reduzierung der Globaldotationen von sechs auf etwa vier Millionen Euro ausweist. Das ist rund ein Drittel weniger für sozialpolitische Interessensvertretung und Fachberatung. Weitere Kürzungsvorschläge - in Summe 83 Mio. Euro - verteilen sich unter anderem auf die Bereiche Flucht, Migration und Integration, Familienbildung und -beratung, Verbraucher- und Schuldnerberatung, Aids- und Suchthilfe, Leistungen im Bereich der Altenhilfe und der Pflege, Sozialraumplanung, Projekte für Menschen mit Behinderung, Schutz für Frauen vor Gewalt sowie die Berufseinstiegsbegleitung. Aber auf den zweiten Blick haben die öffentlichkeitswirksamen Aktionen eindrücklich gezeigt, dass wir die Struktur, die Kompetenz und die Menschen haben, um Politik und Gesellschaft mitzugestalten und Lösungsansätze für aktuelle Herausforderungen zu finden.
Kreative und mutige Ideen entwickeln
Es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, dass wir uns im Sinne der Menschen, für die wir arbeiten, weiterhin für einen starken Sozialstaat einsetzen, der auch die Schwächeren in unserer Gesellschaft auffängt und ihnen eine Chance auf Teilhabe ermöglicht. Gleichzeitig müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass wir auf lange Sicht mit weniger finanziellen Ressourcen und weniger Personal auskommen müssen. Nicht nur die Finanzsituation der öffentlichen Haushalte, auch der demografische Wandel und die Digitalisierung sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Es gilt, kreative und mutige Ideen zu entwickeln, dem Fachkräftemangel und den sinkenden Einnahmen etwas entgegenzusetzen, wie beispielsweise vernetzt und in Kooperationen arbeiten, in Mitarbeiterbindung investieren, die eigenen Stärken fördern und kommunizieren, für den Abbau von Bürokratie und Hindernissen bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter und Migranten eintreten, etc… Denn wenn wir das Ende des Sozialstaats herbeireden, zahlt das am Ende nur auf das Konto der Feinde unserer Demokratie ein.
Synergien in NRW nutzen
Eine Möglichkeit für uns als Verbandsgruppe, mit knapperen Mitteln zu wirtschaften, ist sicherlich, Synergieeffekte auf der nordrhein-westfälischen Ebene zu nutzen. Ein wegweisendes Vorhaben ist das Kooperationsprojekt der Caritas in NRW, das im August 2023 ins Leben gerufen wurde, um eine engere und strukturierte Zusammenarbeit zwischen den fünf Diözesan-Caritasverbänden zu fördern.
Ziel ist es, die sozialpolitische Interessenvertretung zu verbessern, sich an immer dynamischere Rahmenbedingungen anzupassen und den Kostendruck sowie den Fachkräftemangel zu bewältigen - frei nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stärker!". Das bedeutet nicht, dass Stellen gekürzt werden, sondern dass jeder Verband inhaltlich und fachlich unterschiedliche Schwerpunkte setzt und damit die anderen entlastet. Vier Teilprojektgruppen arbeiten daran, die administrativen sowie die inhaltlichen und fachlichen Dienstleistungen, aber auch die sozialpolitische Interessensvertretung synergetisch zu bündeln und zu optimieren. Bei diesem Prozess, der auch partizipativ gestaltet werden soll, befinden wir uns noch in den Anfängen - die ersten Ergebnisse zeigen aber in die richtige Richtung.
Den Caritasverband weiterentwickeln
Nach der letzten Delegiertenversammlung sind wir mit einem prognostizierten Fehlbetrag von etwa 820.000 Euro in das neue Jahr gestartet. Dieses erwartete Ergebnis für das Jahr 2024 kam im Wesentlichen dadurch zustande, dass wir in den an die Johannes-Kessels-Akademie vermieteten Schulgebäuden in Essen-Werden den Austausch der alten Ölheizungen durch eine moderne und umweltfreundliche Heiztechnik mit Wärmepumpenanlage geplant hatten. Ohne diese Sondermaßnahme hätte das Defizit rund 170.000 Euro betragen.Aufgrund der Entgelterhöhungen, die - angepasst an die allgemeine Preis- und Tarifentwicklung - in den AVR vereinbart wurden, und aufgrund der geplanten Haushaltskürzung des Landes NRW, die die Arbeit der Caritas insgesamt betrifft, werden wir auch im nächsten Jahr einen größeren Fehlbetrag im Wirtschaftsplan berücksichtigen müssen. Das ist zunächst nicht beunruhigend, da wir über gute Rücklagen verfügen. Um mittelfristig unsere Aufgaben, wie sozialpolitische Interessenvertretung sowie die Beratung von Trägern und die anwaltliche Beratung von Menschen in Not, trotz schwindender Ressourcen weiter sicherzustellen, benötigen wir eine gute Strategie. Dabei haben wir nicht nur die finanziellen Möglichkeiten, sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung im Blick. Die Caritas sorgt an vielen Stellen und Orten für die Stärkung unserer Demokratie - das muss auch in Zukunft so sein.
Verbandsintern stehen die Themen Mitarbeitendenbindung und Organisationsentwicklung auf der Agenda. Zufriedene und gesunde Mitarbeitende sind das beste Aushängeschild für ein gutes Arbeitsklima und ein überzeugendes Argument für uns als attraktiver Arbeitgeber. Konkret kümmert sich daher eine Gruppe im Rahmen des Audits Beruf und Familie um Gesundheitsförderung und entwickelt dazu Angebote im Bereich Ernährung, Bewegung und Bildung. Im Rahmen des Projekts "Psychische Gefährdungsbeurteilung" haben sich alle Mitarbeitenden daran beteiligt, Gefährdungspotenziale zu benennen und Ideen erarbeitet, wie diese reduziert werden können. Darüber hinaus machen wir uns auf den Weg eines Organisationsentwicklungsprozesses, der auf drei Jahre angelegt ist und extern begleitet werden soll. Erste Anpassungen in der Organisationsstruktur können Sie bereits an unserem neuen Organigramm erkennen.
Klimaschutz voranbringen
Im vergangenen Jahr haben wir das Augenmerk auf einen sozial gerechten Klimaschutz gelegt und vielfältige Initiativen angestoßen. Im Bereich der Fluthilfe setzen sich die betroffenen Ortsverbände weiterhin für die Menschen ein, die unter den Folgen der Flutkatastrophe im Juli 2021 leiden, und arbeiten gleichzeitig an Prävention und Krisenresilienz. Als Diözesanverband unterstützen wir dieses Anliegen und haben gemeinsam mit anderen betroffenen Caritasverbänden eine praktische Arbeitshilfe für Fluthelferinnen und Fluthelfer erstellt. Die Caritas ist in die nationale Resilienzstrategie mitaufgenommen worden - damit wird ein enges Zusammenwirken mit den so genannten Blaulicht-Organisationen und der Caritas bei zukünftigen Katastrophen und Krisen ermöglicht. Um auch im Kleinen Veränderungen anzustoßen, hat der Caritasverband für das Bistum Essen mit einem Wettbewerb beispielhafte Klimaschutzprojekte seiner Mitglieder prämiert. Aus Mitteln der Glücksspirale konnten sieben Projektvorhaben mit insgesamt 70.000 Euro gefördert werden. Ein anderes Beispiel ist der Bereich "Altenhilfe". Hier beraten und unterstützen wir die die Träger bei Fragen zur Refinanzierung von Fotovoltaik-Anlagen im Abstimmungsverfahren mit den Landschaftsverbänden. Zudem freuen wir uns, dass wir mit Sebastian Geis jetzt einen Referenten für Digitalisierung und Klimaschutz haben, der diese wichtigen Themen voranbringt.
Frieden beginnt bei mir
Das diesjährige Caritas-Jahresthema "Frieden beginnt bei mir" könnte aktueller nicht sein. Angesichts der jüngsten Wahlerfolge der AfD sind wir mehr denn je als Förderer und Verteidiger des sozialen Friedens und demokratischer Werte gefragt. Gemeinsam mit den Ortscaritasverbänden haben wir eine Wanderausstellung realisiert, die 20 haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende aus dem Caritas-Netzwerk im Ruhrbistum porträtiert. In kurzen Statements, die als begleitende Podcastreihe veröffentlicht wurden, erklären die engagierten Kolleginnen und Kollegen, wie sie mit ihrer Arbeit zu Friedensstifterinnen und -stiftern in unserer Gesellschaft werden. Das ist ein starkes Zeichen für Vielfalt und Toleranz, für Verständigung und Versöhnung, mit dem wir in der Öffentlichkeit "Gesicht zeigen". Allen, die daran mitgewirkt haben, ein herzliches Dankeschön!
Einladung zur Zusammenarbeit
In meiner Eigenschaft als neuer Kapitänin dieses Verbandes möchte ich Ihnen, liebe Delegierte, und den Vertreterinnern und Vertretern unserer Dienste und Einrichtungen gerne meine Unterstützung in allen sozialen und sozialpolitischen Fragen anbieten. Ich weiß die Belegschaft hinter mir, die Ihnen in Ihren Anliegen, wie bereits in den vergangenen Jahren, gerne hilft und entsprechende Serviceleistungen anbietet.
Ich freue mich darauf, die Zukunft der sozialen Arbeit im Bistum Essen mit Ihnen gemeinsam zu gestalten und lade Sie herzlich zur Zusammenarbeit ein!
In diesem Sinne grüßt Sie
Stefanie Siebelhoff, Direktorin (Vorständin)