Joachim Derichs, Seelsorger im Franz-Sales-Haus in EssenAndreas Buck
Kurz vor der Tagesschau macht ein Telefonanbieter seit geraumer Zeit Werbung mit dem Slogan „Go real life“. Das Smartphone ist aber auch verlockend. Vor kurzem habe ich bei YouTube eine Funktion entdeckt, die ich vorher so nicht kannte. Ich schaue mir bei YouTube gerne Videos über Judo an, den Sport, den ich selbst betreibe. Nun bekomme ich regelmäßig immer aktuelle Judo-Videos angezeigt. Die Menge kennt keine Grenzen und ich muss mich manchmal wirklich zwingen, das Smartphone aus der Hand zu legen. Wenn es mir als Erwachsener schon schwerfällt, wie viel schwerer muss es erst Kindern und Jugendlichen fallen, das Smartphone wegzulegen.
„Go real life“. Vor ein paar Wochen war ich in einem Hospiz zu Besuch. Dort leben Menschen, die unheilbar erkrankt sind und sich auf das Sterben vorbereiten. Im Hospiz geht es nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Ich sah Menschen, die sich intensiv unterhielten, die miteinander spielten und lachten, die gemeinsam musizierten oder gemeinsam selbstgebackenen Kuchen genossen. Mit dem Smartphone in der Hand habe ich dort niemanden sitzen sehen. Dafür ist die Zeit im Hospiz zu kostbar. Am Smartphone sitzt man immer allein, auch wenn viele durch die Social Media natürlich im Austausch mit anderen sind. Doch das wirkliche, das echte und bereichernde Leben passiert in Beziehungen, Face to Face. Wir werden uns später nicht erinnern, was wir uns auf YouTube, TikTok, Instagram und Co. angesehen haben. Woran wir uns erinnern werden, sind Erlebnisse mit Familie, Freunden und Arbeitskollegen. Woran wir uns erinnern werden, sind die letzten, intensiven Stunden, die wir mit unseren Liebsten verbracht haben, wenn der Tod uns voneinander trennt. „Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht.“ sagt Meister Hora zur kleinen Momo. Jede Sekunde ist ein Geschenk. Was würden Sie mit 10 Minuten, einer Stunde geschenkter Zeit anfangen?
Go real life! Versäumen wir das Leben nicht. Unsere Zeit ist begrenzt. Füllen wir sie mit Dingen, die uns wirklich erfüllen und lebendig machen!
Joachim Derichs, Seelsorger im Franz-Sales-Haus, Essen