Zweimal Pflege, ein Ziel
Dr. Marianne Kloke ist Direktorin der Klinik für Palliativmedizin und Institut für Palliative Care an den Kliniken Essen-Mitte sowie Mitbegründerin und Leiterin des Netzwerks Palliativmedizin Essen. Die Internistin hatte sich schon früh der Palliativmedizin zugewandt. Ihr Ziel ist die weitere Verbreitung des Palliativversorgungsgedanken und der Hospizidee.
Palliativpflege, Palliativmedizin haben nicht nur aber auch etwas mit würdevollem Sterben zu tun. Was verstehen Sie unter würdevollem Sterben?
Marianne Kloke: Würdevolles Sterben kann nur bedeuten: Der Mensch stirbt entsprechend seinem Leben, entsprechend seinen Vorstellungen, entsprechend seiner Lebensgeschichte. Und da gibt es etwas ganz, ganz Wundervolles, das sind die Rechte des Sterbenden . Die Würde, die er hat, die ich ihm auch nicht nehmen kann, die muss sich widerspiegeln im Umgang, wie ich ihn behandle. Ich kann ihm nicht vorschreiben, was das für ihn ist.
Können Sie mir ein Beispiel nennen?
MK: Ja, ich kann Ihnen ein Beispiel erzählen: Ich kannte eine junge Frau, die eine sehr ihren Körper verändernde Erkrankung hatte. Für die war es außerordentlich anstrengend, Sozialkontakte aufrecht zu erhalten. Die hatte sie auch ihr ganzes Leben eigentlich nicht schrecklich viel gehabt. Und für die war es wichtig, nicht dass viele Menschen bei ihr waren, sondern dass sie sehr viel Ruhe, sehr viel Zeit alleine hatte und dass sie sich wenig Menschen zeigen musste. Und das geht ja eigentlich unseren Vorstellungen diametral entgegen. Eigentlich sagen wir ja: Es kann doch keiner alleine sterben. Aber wenn ein Mensch ein ganzes Leben für sich und mit sich und alleine verbracht hat, dann ist es in Ordnung. Dann ist das seine Würde, die ich verletzte, wenn ich da jetzt alle gut meinenden Menschen noch zu ihm hinbrächte.
Ungefähr die Hälfte der Menschen sterben in Krankenhäusern, die anderen 50 Prozent entweder zuhause oder in Einrichtungen. Wie kann die Caritas Sterbende in ihren Einrichtungen gut begleiten? Eine neue Entwicklung ist die sogenannte SAPV. Was ist das?
MK: Das Besondere bei der SAPV ist die Idee des Palliative Care Teams, das aus Palliativpflegekraft und Palliativarzt besteht. Die Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgung darf und soll auch in stationären Einrichtungen der Alten- und Behindertenpflege tätig werden. SAPV ist ein Add-on-Angebot, das für die stationären Einrichtungen eine Chance darstellt. Sie können sich kompetente Pflege für besonders aufwendige Pflegeprozesse zusätzlich holen. Wenn eine Wundversorgung zwei Mann bindet über zwei Stunden, dann kann das nicht mehr eine Einrichtung leisten. Wir haben Patienten, die haben so schlimme Wunden, da muss man eine Narkose machen. Dazu braucht es automatisch Arzt und Pflegekraft, und dass machst du nicht mal eben alleine wie eine Dekubitus-Versorgung.
Wie funktioniert die Versorgung über die SAPV-Teams konkret?
MK: Es kommt vor, dass der Arzt alleine zum Patienten hinfährt, oder auch die Schwester. Es kann aber auch sein, dass beide zusammen hinfahren. Was das ganz besondere ist, es muss Teambesprechungen geben, Fallbesprechungen. Das heißt: Man hat eine gemeinsame Dokumentation, man trifft sich mindestens einmal in der Woche, um den Krankheitsverlauf eines jeden einzelnen Patienten zu besprechen, man hat einen telefonischen Austausch nahezu täglich.
Wofür braucht es eigentlich eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung? Es gibt doch eigentlich auch kompetentes Pflegepersonal, das man vielleicht auch schulen und anleiten könnte.
MK: Das muss man sogar. Ich sage immer: Achtet und wertschätzt die besondere Kompetenz einer Altenpflegerin! Sie hat eine besondere Kompetenz, nicht nur in Bezug auf den einzelnen Bewohner, weil sie ihn zumeist länger kennt, sondern auch wegen ihrer Ausbildung. Sie hat im psychosozialen Bereich wesentlich mehr Wissen, als eine Krankenschwester. Es geht nur im Miteinander. Denn eine moderne Schmerztherapie hat immer eine Basismedikation, die dazu da ist, 90 bis 95 Prozent des Schmerzes abzudecken. Es gibt aber eine Bedarfsmedikation. Das heißt, wenn der Schmerz nicht ausreichend gelindert ist, muss es zusätzliche Medikation geben. Umso wichtiger ist es dann, dass der Pflegende vor Ort und die Fachkraft zusammenarbeiten und der eine genau weiß, wann er die Bedarfsmedikation geben darf, wie schnell die wirkt und was zu beachten ist.
Leicht vorstellbar, dass gerade in der Pflege ein Miteinander besser ist als ein Nebeneinander.
MK: Und dieses Miteinander ist auch eine große Chance: Wir erleben immer wieder in Häusern, wo unsere SAPV-Teams häufig sind - das wird als Fortbildung, auch teilweise als Chance zum Weiterlernen genutzt, in beide Richtungen. Unsere SAPV-Kolleginnen sind auch immer ganz dankbar über neue Impulse. "Du hör mal, da gibt´s was…und die Biographiearbeit von denen…". Fast alle Einrichtungen haben zum Beispiel eine ganz gute Abschiedskultur, eine Trauerkultur. Und da ist es gut auch als ambulante Fachkraft ins Abschiednehmen mit einbezogen zu werden. Das ist von beiden Seiten die Konzentration auf das gleiche Ziel, dass der Bewohner gut lebt und gut stirbt.
Frau Dr. Kloke, wir haben jetzt viel über die Versorgung Strebender in Altenheimen gesprochen, wie sieht es denn im ambulanten Bereich mit palliativen Ansätzen aus?
MK: Die Palliativversorgung ist als Regelauftrag bei den ambulanten Diensten verankert. Diese sind aber nicht unbedingt dafür ausgerichtet, weil ihr Leistungskatalog die immer länger dauernde Palliativversorgung nicht berücksichtigt - weder in der Behandlungspflege noch in der Grundpflege. Es müsste in beiden Bereichen Aufschläge geben für Palliativpatienten. Das gleiche hat man für die Hausärzte gemacht. Das gleiche Recht müssten die Pflegedienste kriegen. Das wäre eine wunderbare Burnout-Prophylaxe für die sehr engagierten Leute, die momentan einfach entweder Überstunden machen, oder die von ihrem Dienst getragen werden, der sagt: "Du kriegst weniger zu tun, weil du besonders arbeitsintensive Patienten hast. Und wir fahren da bewusst Minus ein." Aber das können sich nur große Dienste leisten.
Wenn Sie noch eine politische Forderung loswerden dürften, welche wäre das?
MK: Dass endlich der Anspruch auf eine allgemein ambulante Palliativversorgung, wie wir ihn in Nordrhein-Westfalen haben, auch auf die stationären Einrichtungen der Altenpflege ausgedehnt würde.
Die Fragen stellte Christoph Grätz