Das Kind ist erwachsen geworden. Die Schwangerschaftsberatung der Caritas im Bistum Essen feiert am Mittwoch den 40. Geburtstag. Zur Erinnerung: 1976 wurde der Paragraph 218 reformiert. Ein Schwangerschaftsabbruch war künftig nicht mehr strafbar, sofern die Frauen vorher eine anerkannte Beratungsstelle aufsuchten. Daraufhin wurden im gesamten Bundesgebiet Schwangerschaftsberatungsstellen eingerichtet, die letzte der insgesamt 13 Anlaufstellen der Caritas im Bistum Essen eröffnete 1978.
Vorfreude und große Veränderungen
Schwangerschaftsberaterin Silvia Beckman im Gespräch mit SamiraCaritas Oberhausen
Dieses Datum wählte man für die Jubiläumsfeier im Haus der Caritas in Essen. Die Feier steht unter dem Motto: "Ein Kind, neun Monate, tausend Fragen". Denn eine Schwangerschaft bedeutet für jede Frau, für jedes Paar große Veränderungen: Da ist einerseits die Vorfreude auf das Baby, aber es tauchen auch viele offene Fragen, mitunter Ängste und Zweifel auf. Erst recht, wenn eine ungewollte Schwangerschaft unter ungünstigen Bedingungen verläuft.
"Ich war am Anfang wirklich verzweifelt", erzählt Samira. Sie ist 19, im siebten Monat schwanger. Der Freund lehnt das Kind ab, schlägt seine Freundin, als er von der Schwangerschaft erfährt. Samiras Eltern sind in die Türkei zurückgekehrt, haben den Kontakt zur Tochter abgebrochen. Die junge Frau steht mutterseelenallein da. Niemand, der sie unterstützt. Kein fester Freundeskreis, kein Beruf, denn die Ausbildung zur Krankenpflegerin hat sie nicht abgeschlossen.
Die werdende Mutter findet Zuflucht im Frauenhaus in Oberhausen. Hauptsache, weg von ihrem gewalttätigen Ex-Freund, der in Norddeutschland lebt. Im Frauenhaus empfiehlt man ihr die Schwangerschaftsberatung der Caritas an der Mülheimer Straße. Dort kümmert sich Diplom-Sozialpädagogin Silvia Beckmann seit zwei Monaten um Samira. "Ich kann mit allen Fragen kommen", sagt die Schwangere, die in Köln geboren ist. Es sind existentielle Dinge zu regeln: Lebensunterhalt und eine Wohnung, auch eine Perspektive, wie es weitergehen soll, wenn die kleine Tochter auf der Welt ist. Dazu tauchen viele Fragen zu Schwangerschaft und Geburt auf. Aber auch psychologischen Beistand leistet Silvia Beckmann. Sie bestärkt ihre Klientin, gibt ihr das Gefühl, nicht allein dazustehen. "Es tut so gut, einfach mal eine Last abzuladen", hat Samira in den letzten Wochen erfahren.
Wir wollen Freuen unterstützen ihr Kind zu bekommen
Das Leben mit Baby ist für viele noch ungewohnt. In einer Ferienfreizeit für junge Mütter lernen Frauen gemeinsam, was es heißt diese Verantwortung zu übernehmen. privat
Zwischendurch, als sie noch bei ihrem Freund in Kiel lebte, hat die 19-jährige an eine Abtreibung gedacht: "Ich wusste nicht, wie ich das schaffen sollte". Natürlich hatte sie sich alles ganz anders vorgestellt: eine romantische Liebe, Heirat, eine kleine Familie in gesicherten Verhältnissen. Der Zeitpunkt und die Umstände der Schwangerschaft sind denkbar ungünstig. Doch letztendlich hat sie sich für das Kind entschieden.
"Wir wollen Frauen unterstützen, die ihr Kind bekommen", sagt Gabriele Pollaschek, Diözesanreferentin für Schwangerschaftsberatung des Caritasverbandes für das Bistum Essen. Die Haltung der katholischen Kirche, und damit der Caritas, ist eindeutig: "Jedes Kind hat ein Recht auf Leben" heißt die klare Ansage.
Einen Beratungsschein, der Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung ist, dürfen die Caritas-Mitarbeiter ohnehin nicht mehr ausstellen. Denn Im Jahr 2001 verbot Papst Johannes Paul II. den deutschen Bischöfen in den kirchlichen Beratungsstellen diese Scheine auszugeben. Zwar sagt Silva Beckmann, die seit 27 Jahren bei der Caritas Schwangere berät: "Die Konfliktberatung hat bei uns immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt". Sie spricht von einem Anteil von zehn, maximal 20 Prozent. Frauen, die zur Abtreibung entschlossen waren, hätten auch vor 2001 eher Beratungsstellen anderer Träger aufgesucht. Dennoch mussten die Caritas-Mitarbeiter neue Wege überlegen. "Es sind andere Angebote hinzugekommen Kleiderstübchen mit Gesprächsangebot, Kurse zur Vorbereitung und Begleitung", erklärt Gabriele Pollaschek, Diözesanreferentin für Schwangerschaftsberatung des Caritasverbandes für das Bistum Essen.
Vertrauen ist die Basis der Beratung
Nur knapp 15 Prozent der Schwangeren, die 2017 zur Caritas im Bistum Essen kamen, waren erwerbstätig. Über 65 Prozent hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung, die meisten lebten von staatlichen Leistungen. Es ist nicht verwunderlich wenn Gabriele Pollaschek, sagt: "Die Klientinnen kommen überwiegend aus finanzieller Not." Die Caritas kann finanzielle Unterstützung aus der Bundesstiftung Mutter und Kind oder auch dem Fond des Ruhrbistums in die Wege leiten. "Das ist der Türöffner, da wir tatsächlich auch finanziell helfen können. Aber dann geht es erst los. Überforderung, Konflikte mit dem Partner, den Eltern oder weiteren Kindern, prekäre Wohnsituation, Ärger mit dem Amt oder Arbeitgeber". Wenn die Schwangeren Vertrauen zu der Beraterin gefasst haben, erzählen sie von ihren Sorgen. Letztendlich stelle nur die Hälfte von ihnen einen Antrag auf finanzielle Hilfe - weswegen sie eigentlich gekommen sind. Für eine Erstausstattung bekommen Frauen ohne entsprechende eigene Mittel 300 Euro. Das nehmen auch gerne Flüchtlingsfrauen, viele davon aus Syrien, in Anspruch. Kritikern, die den Schwangeren ein Abkassieren vorhalten, entgegnet Silvia Beckmann. "Dieses Geld ist gut angelegt. Je früher wir die Frauen erreichen, umso besser für eine Integration".
Ferienfreizeit mit jungen Mütternprivat
Die Oberhausener Beratungsstelle kümmert sich speziell um junge Schwangere wie Samira. Neben der Beratung werden gemeinsame Wochenend-Freizeiten angeboten. Dort können sich die jungen Frauen austauschen. Eine Hebamme lässt sie die Herztöne abhören oder die Lage des Embryos ertasten. Dabei geht es auch um Themen wie Empfängnis. "Man denkt vielleicht, die jungen Mädchen heutzutage sind aufgeklärt. Aber das ist nicht immer der Fall", sagt Irmgard Handt, die bei der Caritas Oberhausen den Bereich Soziales und Beratung leitet. Auch die Mutter-Kind-Bindung, die manche in der eigenen Familie nicht kennengelernt haben, wird thematisiert. "Wir wollen dem Baby einen guten Start ermöglichen", sagt Silvia Beckmann. Samira freut sich mittlerweile auf ihr Kind. Sie ist zuversichtlich, das Leben als Mutter zu meistern, nach der Geburt irgendwann eine neue Ausbildung zu beginnen. Und falls sie nicht weiter weiß: Bis zum dritten Lebensjahr des Kindes sind die Mitarbeiterinnen der Schwangerschaftsberatung für sie da. (GB)
Hinweis: Am Mittwoch, 25. April, begeht die Caritas im Bistum Essen das 40jährige Bestehen ihrer Schwangerschaftsberatung ab 15 Uhr mit der Hl. Messe im Essener Dom mit Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck und einem Empfang ab 15 Uhr im Haus der Caritas, Am Porscheplatz 1, 45127 Essen.