Stefanie Siebelhoff (r.), Vorständin des Caritasverbandes für das Bistum Essen, spricht ein einleitendes Grußwort bei der Mitgliederversammlung der AGkE in Essen.Caritas | Nicola van Bonn
Mit dem sich verstärkenden Fachkräftemangel in sozialen Berufen hat sich die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Einrichtungen und Dienste der Erziehung und Beratung im Bistum Essen (AGkE) am Donnerstag, 7. Dezember 2023, bei einer Zusammenkunft in Essen auseinandergesetzt. "Es ist nicht mehr Fünf vor Zwölf, es ist bereits später", wies Stefanie Siebelhoff, Direktorin des Caritasverbandes für das Bistum Essen, auf den Ernst der Lage hin. Ausdruck des Mangels seien fehlende Betreuungsplätze in Kindergärten und Schulen, auf Kante genähte Einsatzpläne bei Pflegediensten und in Krankenhäusern. Gleichzeitig arbeiteten etwa 100.000 Menschen, die ursprünglich für einen sozialen Beruf ausgebildet seien, in anderen Bereichen. 60 Prozent der Beschäftigten in sozialen Berufsfeldern seien in Teilzeit angestellt. "Es gibt Potenzial", so Siebelhoff. Das zu heben, bedeute vor allem, an den Stellschrauben der Arbeitsbedingungen zu drehen.
Pauser: "Uns fehlen fünf Millionen Menschen"
Für ein Impulsreferat war Dr. Susanne Pauser, Vorständin für Personal und Digitales beim Deutschen Caritasverband, aus Berlin angereist. Sie warb dafür, die Krise zwar nicht klein zu reden, aber trotzdem die Chancen zu benennen. "Caritas kann Krise!", machte sie den rund 40 Anwesenden Mut. Die demografische Entwicklung, die Digitalisierung sowie die Finanzsituation der öffentlichen Haushalte gehörten zu den größten Herausforderungen, die den Fachkräftemangel verstärken. "Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass zwischen 2027 und 2030 die geburtenstärksten Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Das sind etwa 30 Prozent der derzeit Beschäftigten. Uns fehlen dann fünf Millionen Menschen", die auch nicht durch die besten Recruiting-Kampagnen ersetzt werden könnten.
Fachkräfte binden und wiedergewinnen
Dr. Susanne Pauser, Vorständin beim Deutschen Caritasverband, ist davon überzeugt, dass die Caritas als wertebasierte Organisation einen entscheidenden Vorteil bei der Werbung und Bindung von Fachkräften hat.Caritas | Nicola van Bonn
"Deshalb muss es viel mehr um Bindung und Wiedergewinnung von Fachkräften gehen", betonte Pauser. Dazu gehörten attraktive Arbeitsbedingungen, wie flexible Lebensarbeitszeitmodelle und ein gutes Gesundheitsmanagement. Vielen Menschen sei es wichtig, etwas Sinnstiftendes zu tun. "Da haben wir als wertebasierte Organisation einen riesigen Vorteil", so die Caritas-Vorständin, "das ist eine Chance für uns!" Caritas müsse viel stärker die eigenen spirituellen Angebote in den Vordergrund stellen und damit werben. Menschen aus anderen Berufsfeldern solle der Quereinstieg erleichtert, ältere Mitarbeitende auch über das Rentenalter hinaus gehalten und "Mitarbeiter werben Mitarbeiter"-Programme gestartet werden.
Weniger Hürden für ausländische Arbeitskräfte
Kritik übte Pauser an der derzeitigen Einwanderungspolitik: "Wir leben in einem Land, das noch nicht verstanden hat, dass ausländische Arbeitskräfte kein Kann, sondern ein Muss sind." Deutschland könne seinen Wohlstand nur dann halten, "wenn wir - unabhängig von ihrer Herkunft - möglichst viele Menschen in Ausbildung und Arbeit bringen". Deswegen sei das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend, so die Caritas-Vorständin. Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen müsse erleichtert werden. Pauser: "Nicht für jede Tätigkeit ist ein B2-Niveau in Deutsch erforderlich - und warum nicht Englisch als zweite Amtssprache einführen?" Darüber hinaus warb die Caritas-Vorständin für ein anderes Verständnis von Lernen, das auch die im Arbeitsleben erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten berücksichtigt: "Bezahlung muss sich nach der ausgeübten Tätigkeit richten, nicht nach der Qualifikation."
Handlungsfähig bleiben
Die rund 40 Gäste aus Caritas-Einrichtungen, Verbänden und dem Bistum Essen kamen im Rahmen der Mitgliederversammlung der AGkE am 7. Dezember in Essen mit Dr. Susanne Pauser zum Thema "Fachkräftemangel" ins Gespräch.Caritas | Nicola van Bonn
Trotzdem müsse man sich ehrlich vor Augen führen, dass all das nicht reichen werde, um den Fachkräftemangel zu beheben. Es werde zukünftig weniger Geld und weniger Personal geben. "Bitte stellen Sie sich vor: Wie schaut meine Einrichtung mit dauerhaft 25 Prozent weniger Personal aus?", lud Pauser die Anwesenden zu einem Gedankenexperiment ein, "denn wenn wir uns nicht entwickeln, werden wir entwickelt." Es gehe darum, vor die Lage zu kommen, um handlungsfähig zu bleiben. "Ich will Ihnen Mut machen", so Pauser, "denn wir haben die Struktur, die Kompetenz und die Menschen, um den Veränderungsprozess zu gestalten." Es sei nicht hilfreich, in dieser krisenhaften Situation permanent den Untergang des Sozialstaates zu beschwören: "Das zahlt nur auf die AfD ein", warnte die Vorständin.
AGkE wählt neuen Vorstand
Zum Abschluss wählten die anwesenden Mitglieder der AGkE ihren Vorstand neu. Wiedergewählt wurden Stefan Hesse vom Caritasverband Altena-Lüdenscheid, Corinna Stanioch, Leiterin der Fachkonferenz stationäre Erziehungshilfe beim Caritasverband Duisburg, Olivera Kuhl, Leiterin Fachkonferenz Familienberatung beim Caritasverband für die Stadt Gelsenkirchen und Martin Roth, Leiter Fachkonferenz ambulante Erziehungshilfe, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Josef Gelsenkirchen. Neu hinzu kamen Georg Jöres, Leiter Fachkonferenz schulischer Ganztag und Soziale Arbeit an Schulen beim Caritasverband Mülheim, und Karoline Neuwirth, Fachkonferenz Familienberatung beim Sozialdienst katholischer Frauen Bochum. Den Vorsitz übernimmt Stefan Hesse.
Die AGkE
Die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Einrichtungen und Dienste der Erziehung und Beratung im Bistum Essen (AGkE) versteht sich als Netzwerk der Erziehungshilfen und Schwangerschaftsberatung im Bistum Essen. Ziel ist es, gemeinsam Strategien zu entwickeln, um die Qualität der Beratung und Hilfen zu sichern und zu stärken. In der AGkE haben sich 34 Mitglieder mit verschiedenen Einrichtungen und Diensten zusammengeschlossen:
12 Einrichtungen/Dienste der ambulanten Kinder-, Jugend- und Familienhilfe
21 Einrichtungen der stationären Erziehungshilfe
14 Familienberatungsstellen
7 Träger mit Angeboten des Schulischen Ganztags und der Sozialen Arbeit an Schulen
2 Berufskollegs
13 Schwangerschaftsberatungsstellen