"Es gibt nicht die Jungen und die Alten: Es sind nicht alle jungen Menschen Klimaschützer und nicht alle alten Menschen Umweltzerstörer!" Dass Vorurteile zwischen den Generationen eine entscheidende Barriere für gegenseitiges Verständnis darstellen, stellte der Mediziner Professor Johannes Pantel bei einer Caritas-Veranstaltung zum Thema "Generationengerechtigkeit" anschaulich dar.
Gemeinsam an Lösungen für die Probleme dieser Gesellschaft arbeiten, so der Tenor der TeilnehmendenCaritas Essen
Aufräumen mit Vorurteilen und gemeinsam an Lösungen für die drängenden Probleme dieser Gesellschaft arbeiten - das war der Tenor des Treffens von Caritas-Mitarbeitenden aus ganz Nordrhein-Westfalen am Dienstag, 26. Februar in Essen. Eingeladen zu der Veranstaltung unter dem Titel "Generationengerechtigkeit als Chance zum Frieden" hatten die Fachbereiche "Offene soziale Altenarbeit" und "youngcaritas". Rund 40 jüngere und ältere Mitarbeitende setzten sich kritisch mit gesellschaftlichen Herausforderungen, wie Klimaschutz, Rente, Ehrenamt und Care-Arbeit, auseinander und diskutierten in Workshops Lösungsansätze.
"Keiner weiß, wie das mit der Pflege in Zukunft funktionieren soll. Wie stabilisieren wir das Rentenniveau? Wie finanzieren wir das Gesundheitssystem? Wer bezahlt die Staatsschulden und wie lagern wir den Atommüll?", warf Dr. Frank Johannes Hensel, Leiter des Caritasverbandes für das Erzbistum Köln, Fragen auf. Fragen, für die es nicht einfache Lösungen gebe, aber über die gesprochen werden müsse - und zwar in generationengemischten Gruppen.
Kalter Krieg der Generationen
Professor Johannes Pantel von der Goethe Universität Frankfurt am Main: „Wir müssen unsere gemeinsamen Interessen in den Blick nehmen“Caritas Essen
Professor Pantel, Experte für "Altersmedizin" an der Goethe Universität Frankfurt am Main, beschrieb anschaulich die Gefahr eines "kalten Krieges zwischen den Generationen". Er beobachte "ein Mindset, eine Kriegsbereitschaft in den Seelen, in den Köpfen der Menschen". Generationenkonflikte habe es zwar immer schon gegeben, zum Beispiel in den 68er Jahren. Damals habe die Jugend für einen kulturellen und politischen Wandel gekämpft. Jetzt jedoch kündige sich ein Konflikt um Ressourcen an, der die Solidarität zwischen den Generationen massiv in Frage stelle, erklärte der Experte.
"Meine Sorge gilt den ressourcenarmen älteren Menschen, den gebrechlichen, chronisch kranken Menschen, den von Demenz Betroffenen und älteren Menschen in prekären sozialen Lagen." Pantel sieht sie als Opfer von zunehmenden altersfeindlichen Positionen und Narrativen, deren Auswirkungen beispielsweise in der Corona-Krise greifbar geworden seien. So habe es eine öffentliche Diskussion darum gegeben, ob bei knapp werdenden Beatmungsgeräten junge Menschen bevorzugt werden sollten. "Alte Menschen werden als Ausbeuter und Profiteure des Sozialsystems gebrandmarkt. Es wird die Gefahr einer Gerontokratie heraufbeschworen, in der Ältere in leitenden Positionen die Macht zu ihren Gunsten ausnutzen würden. Solche negativen Bilder und Vorurteile schüren Ressentiments und Feindseligkeiten und verstellen die Sicht auf Lösungen", warnte Pantel.
Altersdiskriminierung entgegenwirken
Er äußerte die Sorge, dass altersfeindliche Tendenzen Eingang in die Gesetzgebung finden könnten, zum Beispiel wenn medizinische Behandlungen für Menschen im Alter eingeschränkt würden. "Muss es Hüftoperationen ab 75 Jahren noch geben? Aus dieser Frage schlägt Einem soziale Kälte entgegen" kritisierte der Experte. "Menschen, die das Gefühl haben, zur Last zu fallen und unerwünscht zu sein, werden depressiv, verwahrlosen emotional und sozial" und liefen Gefahr, ihr eigenes Leben als nicht mehr lebenswert wahrzunehmen. Das mindere ihre realen Lebens- und Überlebenschancen enorm, so der Mediziner. Die Gesellschaft müsse sich fragen, was sie bereit sei, an Ressourcen aufzubringen, um eine menschenwürdige Pflege sicherzustellen.
Pantel warb dafür, altersdiskriminierende Bilder klar zu benennen und ihnen entgegenzutreten. Das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes solle erweitert werden: Auch aufgrund seines Alters dürfe niemand benachteiligt werden. "Wir müssen alte Menschen besser schützen. Es gibt den Begriff der Kindeswohlgefährdung, warum nicht auch der Alterswohlgefährdung? Schutzrechte, insbesondere für vulnerable, chronisch kranke Personen, für Demenzbetroffene und Pflegebedürftige, müssen gestärkt werden", forderte der Experte.
Gemeinsam Lösungen suchen
Auf der anderen Seite brauche es mehr Partizipation und Teilhabe jüngerer Menschen, um die Gerechtigkeitsdefizite auszugleichen. "Wir müssen unsere gemeinsamen Interessen in den Blick nehmen", so Pantel, denn die drängenden gesellschaftlichen Probleme, wie Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Staatsfinanzen sowie Klima und Umwelt, ließen sich nur gemeinsam lösen.
Caritas-Mitarbeitende diskutieren in Workshops über LösungsansätzeCaritas Essen
Engagiert diskutierten junge und ältere Caritas-Mitarbeitende anschließend in unterschiedlichen Workshops Lösungsansätze. Bei der Care-Arbeit, so das Ergebnis, fehle es nicht an guten Konzepten, wie Jobsharing, flexible Arbeitszeitmodelle, Quartiersarbeit, Mehrgenerationenwohnen und ähnlichem, sondern an Strukturen in der Gesellschaft und Arbeitswelt, die sich ändern müssten. Das sei eine Aufgabe für die Politik und Wirtschaft. Beim Klimaschutz müsse jeder mit anpacken und trotzdem gehe es nicht ohne systemische Änderungen, für die es gesetzliche Rahmenbedingen brauche. Auch das Thema "Kommunikation" wurde kontrovers diskutiert. Die analoge dürfe nicht gegen die digitale Kommunikation ausgespielt werden, waren sich die Caritas-Mitarbeitenden einig. Wichtig sei, dass die junge und die alte Generation Formate finde, die Begegnung möglich mache. Dabei - und auch in Bezug auf verschiedene Haltungen und Werte - sei es wichtig, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen.
Voneinander lernen
Als besonders schwieriges Thema entpuppte sich die Rente: Das Ungleichgewicht zwischen Beitragszahlern und -empfängern führt zu Ungerechtigkeiten zwischen den Generationen, so die einhellige Meinung. Um die Rente zu sichern, müsse möglicherweise an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden: Beamte könnten in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen, Aktienrendite und Steuern für Reiche könnten zur Finanzierung beitragen, so die Vorschläge. Bei den Themen Mitarbeitendenbindung und Arbeitsmoral entdeckten die Generationen mehr Gemeinsames als Trennendes: Es gehe darum, die Attraktivität von Arbeit zu steigern, um gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung, aber auch um die Frage von Qualitätsansprüchen und Wettbewerbsfähigkeit. Die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen, sei weniger eine Frage der Generation, als vielmehr der Lebensphase eines Menschen. Junge Menschen hätten durchaus Lust, Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen, wünschten sich dabei aber mehr Flexibilität. Nicht das Amt sei attraktiv, sondern an gesellschaftlichen Veränderungen mitwirken zu können.
Jung und Alt - Zusammenhalt!
Durchweg positiv beurteilten die Caritas-Mitarbeitenden den Dialog der Generationen, der fortgesetzt werden soll. Vor allem an den Themen Pflege, Care-Arbeit, Klimaschutz und generationenübergreifende Begegnung soll weitergearbeitet werden. "Es geht nur gemeinsam", fasste Marie-Luise Tigges vom Caritasverband für das Erzbistum Paderborn zusammen, "Jung und Alt - Zusammenhalt!".
Text: Nicola van Bonn