Mitstreiter beim Diskussionsabend zur schulischen Inklusion (v.l.): Michael Felten (Gymnasiallehrer), Martin Stockmann (Caritas), Sabine Depew (Diözesan-Caritasdirektorin), Günter Hinken (Volkshochschule), Daniel Roesch (Verein „Schule neu denken“), Brigitte Schumann (Bildungsjournalistin).Cordula Spangenberg | Caritas
Über den richtigen Weg zur Inklusion an Schulen wird viel gestritten, so auch am Abend des "Tages der Kinderrechte", 20. November 2018, in den Räumen der Volkshochschule Essen. Das Bundesnetzwerk "Schule für alle", im Ruhrgebiet unter Federführung der Caritas im Bistum Essen, bot an diesem Abend dem Meinungsaustausch vor einem hoch engagierten Fachpublikum eine Bühne. Die beiden widerstreitenden Positionen: Brauchen Kinder mit besonderem Förderbedarf einen Schonraum in Gestalt der Förderschule, um gut lernen zu können? Oder wird dieser Schonraum zur Falle, weil in Deutschland vor allem arme Kinder in Haupt- und Förderschule landen?
Für den Erhalt der Förderschule sprach sich der Kölner Autor und Gymnasiallehrer Michael Felten aus. So lange es für das derzeit praktizierte integrative Modell zu wenig Geld, keine angemessene Lehrer-Fortbildung und kein umfassendes Schulkonzept gebe, sei das Wohl der Förderschüler in inklusiven Klassen nicht ausreichend gesichert. Außerdem gelte der Lehrerberuf wegen seiner derzeitig ungeklärten Bedingungen als unattraktiv, überall fehle es an Lehrern und Sonderpädagogen, so Felten: "Auch die Konkurrenzsituation ist nicht zu unterschätzen, wenn manche Schüler nicht nur ein bisschen, sondern exorbitant viel besser lernen als andere." Deshalb seien optimale Lernbedingungen und Erfolgserlebnisse für Inklusionskinder heute eher an der Förderschule gegeben.
Feltens Kontrahentin auf dem Podium, die Essener Bildungsjournalistin und ehemalige Landtagsabgeordnete Brigitte Schumann, ist zwar ähnlich wie Felten keineswegs einverstanden mit der derzeitigen Umsetzung der Inklusion. Im Gegensatz zu ihm fordert sie jedoch die vollständige Umsetzung und Finanzierung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland in der Weise, dass Kinder mit Behinderung oder Fluchthintergrund selbstverständlich ihren Platz in der Regelschule haben: "Kinder lernen kognitiv und sozial besser in der inklusiven Schule. Das zeigen auch die Schulsysteme in Skandinavien und Kanada, die in der PISA-Studie gut abgeschnitten haben." Dem Gymnasium warf Schumann vor, überwiegend Kinder aus akademischen Elternhäusern aufzunehmen - knapp zehn Prozent der Eltern von Gymnasiasten hätten maximal einen Hauptschulabschluss, hingegen kämen 90 Prozent der Förderschüler aus armen Familien: "So vererben wir in Deutschland Bildungsarmut und Bildungschancen."
Für eine grundsätzliche Veränderung des Regelschulsystems streitet der Verein "Schule neu denken", Mitveranstalter des Diskussionsabends. "Kinder, die nicht zeitgleich mit allen anderen das gleiche gelernt haben, werden in andere Schultypen ausgesondert. Aber schon beim Laufen lernen haben Kinder ein unterschiedliches Lerntempo, das wir auf das schulische Lernen übertragen müssen", stellte Daniel Roesch die Position des Vereins dar.
Die Gesamtschule Bockmühle in Essen mit 1.500 Schülern und 150 Lehrern geht seit acht Jahren den Weg der Inklusion. Die Schule sei entgegen dem eigenen Anspruch eine Schule im Brennpunkt und keine Schule für alle mehr, kritisiert Schulleiterin Julia Gajewski die Entwicklung dieser Jahre. Dennoch schafften auch hier Schüler ihr Abitur, während gleichzeitig andere Kinder künftig keine Chance auf eine Arbeitsstelle und gesellschaftliche Teilhabe hätten. Gajewskis Eindruck: "Die Umsetzung der Inklusion ist ungerecht und entwürdigend."