Die TelefonSeelsorge in Deutschland wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Im Bistum Essen gibt es den Dienst seit 1961. Hier leisten überwiegend Ehrenamtliche 24-Stunden-Dienst am Hörer. Aus den ersten Anfängen 1956 in Berlin ist ein ökumenisches Netzwerk mit über 100 Standorten entstanden.
Was sind die Probleme, mit denen sich Menschen an Sie wenden? Haben die sich vielleicht auch in den letzten Jahren verändert?
Olaf Meier: Ursprungsgedanke von der Telefonseelsorge war ja gerade, eine schnelle Hilfe bei Suizidgefahr anzubieten. Das gibt´s natürlich nach wie vor, wo jemand sagt: Ich trage mich mit dem Gedanken oder ich stehe kurz davor, mir das Leben zu nehmen - das sind ungefähr 0,7 bis 0,8 Prozent unserer Anrufe, umgerechnet allein im Gebiet von Duisburg, Mülheim und Oberhausen, etwa einmal täglich. Ein großer Teil der Gespräche geht nach wie vor um Beziehungsfragen, dramatische Situationen, Krankheitsdiagnosen, akute Trauer, Trennung. Außerdem stellen wir verstärkt fest, dass Leute anrufen, die psychiatrie-, psychotherapieerfahren sind, die also seit längerer Zeit seelisch in Krisenzeiten leben und die bei uns rund um die Uhr Entlastung finden. Wir sind auch Gesprächspartner für Menschen, die überhaupt keinen haben, mit dem sie in der Live-Umgebung reden. Da gibt es manchmal Leute, die rufen um sechs Uhr an und sagen: "Ich hab heute noch keine Stimme gehört." Das Thema Einsamkeit verbirgt sich hinter vielen anderen genannten Themen, die scheinbar nicht so dramatisch sind, aber wo die Menschen keine andere Anlaufstelle haben außer uns.
Wir leben in Zeiten von Digitalisierung, Globalisierung. Ist der Dienst am Hörer eigentlich noch zeitgemäß?
Olaf Meier: Wenn wir vom Nutzungsverhalten ausgehen, ist er sehr zeitgemäß. Denn wir haben im letzten Jahr bistumsweit 8.000 Anrufe mehr als im Vorjahr gehabt. Gerade in Zeiten der Digitalisierung und der medialen Vernetzung, ist Hilfe, die schnell, ohne große Hürden Menschen zur Verfügung steht, wichtig. Der Großteil unserer Anrufer ist so zwischen 30 und 60 Jahren. Es stimmt: Bei Jüngeren wird vielleicht mehr der Chat oder WhatsApp oder zum Teil auch noch der Weg über Mails gewählt. Aber immerhin 20 Prozent der ernsten Telefongespräche führen unsere Leute mit Kindern und Jugendlichen unter 18, die sich mit Mobbingproblemen, Stress mit den Eltern oder Liebeskummer an uns wenden. Außerdem gibt es sehr viele Menschen, die regelmäßig anrufen, zum Teil über lange Zeit. Da merken wir schon, dass bei aller technischen Vernetzung die soziale, die menschliche Vernetzung abnimmt.
eine TelefonSeelsorgerin im Dienst Caritas / Christoph Grätz
Was muss jemand mitbringen, der bei Ihnen mitmachen will?
Olaf Meier: Die Grundvoraussetzung ist natürlich ein gerütteltes Maß Lebenserfahrung. Wer selber noch nie in Krisen war, wird kaum innerlich Zugang haben zu Menschen, die in schwierigen Situationen sind. Ganz wichtig ist Interesse am anderen Menschen, Mitgefühl zeigen zu können und dies in Sprache zu bringen. Wir können den anderen ja nicht umarmen oder auf die Schulter klopfen, wir müssen unsere Anteilnahme in der Sprache zeigen - Gefühle in Worte fassen. Außerdem ist es uns wichtig, dass unsere Ehrenamtlichen stabil und belastbar sind. Wer selber in Umbruchsituationen ist, sollte seine Energie erstmal für sich selbst aufbringen.
Olaf Meier ist Theologe und Psychologe. Seit 1996 leitet er die ökumenische TelefonSeelsorge Duisburg Mülheim Oberhausen, Die Fragen stellte Christoph Grätz.
Die TelefonSeelsorge im Bistum Essen
TelefonSeelsorge ist ein Krisendienst, der rund um die Uhr erreichbar ist, um Menschen in Not kurzfristig zu entlasten, zu stärken und in weitere Hilfen zu vermitteln. Diskret und anonym begleiten überwiegend Ehrenamtliche Menschen in Krisensituationen am Telefon. Ohne das Engagement der rund 260 Ehrenamtlichen wäre unter den Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 keine 24-Stunden-Erreichbarkeit möglich. Im Jahr 2015 griffen die Seelsorger ca. 68.500 mal zum Hörer. Was die Menschen überwiegend bewegte sind Fragen von Beziehung, Familie und Erziehung aber auch schwere Krisen und Suizidgedanken. in Bochum und Duisburg ist der Telefondienst erweitert um Kriseninterventions-Dienste sowie Chat- und Mailangebote. Diese Art der Begleitung suchen vor allem Jüngere. Die Gespräche bei der TelefonSeelsorge sind kostenfrei, da die Telekom alle Anrufkosten übernimmt. Die Ehrenamtlichen werden mit Schulungen für ihren Einsatz fit gemacht. Sieben Hauptamtliche organisieren den Dienst im Bistum Essen, der durch Kirchensteuern finanziert wird an drei Standorten: Die "ökumenischen TelefonSeelsorge Bochum", der katholische Dienst "Ruf und Rat Essen" und die "ökumenische TelefonSeelsorge Duisburg Mülheim Oberhausen".
Rückfragen beantwortet Olaf Meier, Tel. 0203 22657, duisburg@telefonseelsorge.de