Die Gesundheits- und Altenhilfe steht vor großen Herausforderungen. Nicht zuletzt durch den Renteneintritt vieler Babyboomer rückt das Thema "Versorgungssicherheit" in den Fokus. Welche Möglichkeiten sich in der Altenhilfe bieten, um die Versorgung sicherzustellen, haben rund 70 Expertinnen und Experten am 21. Januar beim "Forum Pflege" des Caritasverbandes für das Bistum Essen diskutiert.
Von einer mutmachenden Initiative, dem Fachkräftemangel zu begegnen, berichteten Stefanie Krones, Direktorin des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn, und Claudia Brockers, Abteilungsleiterin für den Bereich "Ambulante Pflege". Ihnen ist es gelungen, ausländische Auszubildende für den Pflegeberuf zu gewinnen und ihnen in Deutschland eine neue Heimat und Perspektive zu bieten. Im Rahmen des Projektes werden derzeit an sieben Standorten 38 Pflegefachkräfte ausgebildet.
Integration ausländischer Auszubildender
Stefanie Krones, Direktorin des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn, warb beim Forum Pflege engagiert für die Gewinnung und Integration ausländischer Azubis.Christoph Grätz | Caritas Essen
Vermittelt über eine Sprachschule hätten sie zunächst mit 22 jungen Menschen aus Marokko jeweils fünfminütige Online-Bewerbungsgespräche geführt und "obwohl wir ursprünglich nur zehn Ausbildungsplätze vergeben wollten, war sofort klar, dass wir keinen zurücklassen würden", so Krones. Die hohe Motivation der Bewerberinnen und Bewerber habe sie überzeugt. Mit Arbeitsvisa, die der Caritasverband zuvor beantragt hatte, kamen 2021 schließlich die ersten 18 Auszubildenden aus Marokko nach Deutschland, von denen bereits neun im vergangenen Jahr erfolgreich ihr Examen bestanden haben.
Dass die frisch examinierten Pflegekräfte bei der Caritas auch ihren ersten Arbeitsvertrag unterschrieben haben, wertet Krones als Ergebnis erfolgreicher Beziehungsarbeit: "Wir sind mit der Haltung ‚Wir übernehmen Verantwortung für Anderleutskinder!‘ daran gegangen." An sieben Standorten habe die Caritas möblierte Wohngemeinschaften eingerichtet und die jungen Menschen während ihrer Ausbildungszeit eng begleitet. Denn schließlich fehle ihnen in Deutschland das familiäre Netz, das sie auffange und bei Problemen weiterhelfen könne. "Zum Beispiel haben wir einmal einen Auszubildenden mit Blinddarmschmerzen ins Krankenhaus gefahren. Zum Glück rechtzeitig - er musste operiert werden", erzählte Krones.
Die Auszubildenden aus Marokko hätten überzeugt - Vermieter, Kollegen und Leitungskräfte ebenso wie die Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenheime. Besonders hob die Caritasdirektorin hervor, wie liebevoll die Auszubildenden mit alten Menschen umgingen, denn in Marokko werde Seniorinnen und Senioren aufgrund ihrer Lebenserfahrung mit Hochachtung begegnet. Mittlerweile hat der Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn seine Fühler auch nach Indien ausgestreckt und dort weitere fünf Auszubildende gewinnen können. Für eine Phase der Eingewöhnung machen die Neuankömmlinge erst ein Freiwilliges Soziales Jahr oder auch ein mehrmonatiges Praktikum. Währenddessen haben die jungen Menschen Zeit, erste Kontakte zu knüpfen, die fremde Kultur kennenzulernen und ihr Sprachniveau zu verbessern, bevor die eigentliche Ausbildung startet.
Krones und Brockers ziehen eine positive Bilanz: "Das ist eine tolle Chance, unsere Unternehmenskultur zu bereichern! Mitten im Westerwald entsteht auf einmal eine internationale Gemeinschaft."
Vergütung nach Zeit anstatt nach Leistungskatalog
Mit einem anderen Modellprojekt hat der Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn im vergangenen Jahr sogar den Pflegepreis Rheinland-Pfalz gewonnen: Bei "Pflege ganz aktiv - Neue Wege in der ambulanten Pflege" wird nicht nach Leistung, sondern nach Zeit abgerechnet. Fachleute halten das Konzept Zeitvergütung in der ambulanten Pflege für zukunftsweisend, weil es sowohl die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte steigert als sich auch positiv auf die Situation der pflegebedürftigen Menschen auswirkt. Im Vordergrund steht, dass die Pflegekraft nicht nur eine vereinbarte Leistung abarbeitet, sondern tut, was aus Sicht des Patienten gerade notwendig ist. "Unsere gut ausgebildeten Fachkräfte können auf die individuelle Situation der pflegebedürftigen Menschen eingehen, Netzwerke der Hilfe in Familie und Nachbarschaft knüpfen, präventiv und rehabilitativ arbeiten, damit pflegebedürftige Menschen möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen können", beschrieb Brockers eine umfassende Art von Pflege, die den Menschen ganzheitlich in den Blick nehme. Mit der AOK-Pflegekasse habe man einen durchschnittlichen Stundensatz von 65 Euro errechnet, der sich an dem gesetzlich vorgeschriebenen Anteil von Fach- und Hilfskräften in der ambulanten Pflege orientiere.
Pflegeexpertinnen Claudia Brockers (links) und Stefanie Krones (Mitte) vom Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn im Gespräch mit Frank Krursel, Referent für Altenhilfe beim Caritasverband für das Bistum Essen Christoph Grätz | Caritas Essen
"Was ist das für eine volkswirtschaftliche Verschwendung, unsere Pflegefachkräfte so gut auszubilden und sie dann nicht das machen zu lassen, was sie gelernt haben? Wieviel Berufszufriedenheit und Berufsstolz könnten wir zurückholen?", so der Appell von Brockers. Eine projektbegleitende Befragung des medizinischen Dienstes habe gezeigt, dass die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden signifikant gestiegen sei. Das strahle positiv nach außen: Erstmals habe sie auch wieder Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen erhalten. Die Pflegeexpertin hofft überdies auf eine wissenschaftliche Evaluation des Projekts. "Das Konzept ‚Zeitvergütung‘ kann Millionen Euros im Pflegesystem einsparen", ist Brockers überzeugt, weil die pflegebedürftigen Menschen länger im häuslichen Umfeld blieben und erst später oder gar nicht in die stationäre Pflege wechseln müssten. Auch der Caritasverband im Bistum Essen plant in Anlehnung an dieses Modellprojekt mit einigen ambulanten Diensten, das Konzept "Zeitvergütung" zu erproben. Anfragen an die verhandelnden Kranken- und Pflegekassen wurden bereits gestellt.
Springerpool aus dem eigenen Einrichtungsverbund
Welche Vorteile ein Springerpool im eigenen Einrichtungsverbund stationärer Altenpflege bringt, berichteten die Pflegedirektorin der Caritas Altenwohn- und Pflegegesellschaft Wiesbaden, Nadine Morlock, und ihre Trainee Katrin John. Der Wiesbadener Verbund besteht aus zehn Altenpflegeeinrichtungen, einem Hospiz, vier Sozialstationen, Essen auf Rädern an 16 Standorten mit 840 Mitarbeitenden sowie rund 1.800 Klienten, Kunden und Bewohnenden. Immer wieder müssen Ausfälle durch Krankheiten, Urlaub und Elternzeit kompensiert werden. Die Lösung der Wiesbadener: ein eigener Springerpool.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Mitarbeitenden müssen nicht mehr so häufig kurzfristig für erkrankte Kollegen einspringen, weil dafür dauerhaft die im Springerpool beschäftigten Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Auch diese profitieren von fest vereinbarten Dienstzeiten, innerhalb derer sie Vertretungen übernehmen. Mit einem 25-prozentigen Gehaltszuschlag ist der Springerdienst auch finanziell attraktiv, selbst wenn die Beschäftigten oft längere Wegstrecken von mehr als 50 Kilometern in Kauf nehmen müssen.
Durch die eigenen Springer habe die Caritas das Engagement von Zeitarbeit wesentlich reduzieren und Geld sparen können, wenn auch die durch den eigenen Springerpool entstehenden Kosten derzeit nicht refinanziert werden, berichtete Morlock. Trotzdem möchte die Pflegedirektorin diesen Weg weitergehen. "Zeitarbeit im Haus bedeutet immer Qualitätsverlust. Es fehlt die Identifikation mit der Haltung, für die wir als Caritas stehen." Der größte Zugewinn jedoch seien die verlässlichen Dienstpläne. Das trage langfristig zur Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung bei.