"Im Ruhrgebiet bekommen viele Menschen keine Wohnung oder können die angebotenen Wohnungen nicht bezahlen", kritisiert die Essener Diözesan-Caritasdirektorin Sabine Depew in der neuen Ausgabe der in Düsseldorf erscheinenden Zeitschrift Caritas in NRW.
Die Wohnraumversorgung habe sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert, schreibt Depew. In sogenannten "Schrottimmobilien" hausten manchmal zehn Menschen oder mehr auf 80 Quadratmetern. "Gerade in den Ruhrgebietsstädten gibt es unseriöse Vermieter, die mit der Wohnraumnot Geschäfte machen. Sie vermieten heruntergekommene Häuser und Wohnungen zu Wucherpreisen", kritisiert Depew. Derlei Wohnverhältnisse widersprächen nicht nur den Prinzipien der katholischen Soziallehre, sondern jedem menschenwürdigen Denken, betont die Essener Diözesan-Caritasdirektorin.
Unter dem Motto "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" startet die Caritas heute eine bundesweite Kampagne für mehr bezahlbaren Wohnraum. Sie weist darauf hin, dass in Deutschland eine Million Wohnungen fehlen. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gibt es rund 52.000 Obdachlose, die auf der Straße leben. Die Zahl der Wohnungslosen liegt bei 860.000 Menschen und ist in den letzten zwei Jahren um 150 Prozent gestiegen.
"Verfehlte Wohnungsbaupolitik"
Der Wohnraummangel hat viele Gründe. "Man hat in den Jahren, in denen man mit zurückgehender Bevölkerung gerechnet hat, keine entsprechende Bodenvorratspolitik betrieben", erklärt die Architektin Hildegard Schröteler-von-Brand, Professorin für Stadtplanung an der Universität Siegen. Sie kritisiert eine verfehlte Wohnungsbaupolitik. Man habe geglaubt, den gemeinnützigen oder sozialen Wohnungsbau in der früheren Größenordnung nicht mehr zu brauchen, und ihn zugunsten des freien Marktes zurückgefahren.
Auf ständig steigende Baunormen bei Brandschutz, Schallschutz sowie energetischen und statischen Anforderungen weist der Vorstandssprecher des Paderborner Spar- und Bauvereins Thorsten Mertens hin: "Von 2000 bis 2015 haben sich dadurch die Gestehungskosten für ein Neubauprojekt um ungefähr 55 Prozent erhöht", betont Mertens. In der gleichen Zeit sei die Anzahl der Bauvorschriften von 5000 auf 20.000 gestiegen. Die hohen Grundstückpreise und die Baukosten führten dazu, dass es sich für Investoren selbst angesichts niedriger Finanzierungskosten nur noch rentiere, "wenn sie im hochpreisigen Bereich bauen und die Grundstücke extensiv ausnutzen", so der Chef der Wohnungsgenossenschaft in der Zeitschrift Caritas in NRW.
An die soziale Verantwortung der Städte appelliert Benjamin Marx von der katholischen Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft: "In Köln fehlen 50.000 Wohnungen, vor allem für ältere oder jüngere Paare und Studenten. Die Stadt hat genau wie wir als Kirche eine soziale Verantwortung und darf sich nicht verhalten wie ein Hedgefonds", fordert er. Baugenehmigungen dürften nur noch erteilt werden, wenn die Miete eine bestimmte Höhe nicht überschreite. Marx fordert soziale Vielfalt in den Quartieren: "Die Entmischung ist das eigentliche Problem und vor allem eine Folge verfehlter Politik", sagt er.
In Nordrhein-Westfalen ist der Bestand an Sozialwohnungen seit dem Jahr 2000 bis 2016 um 48 Prozent zurückgegangen. Einer Modellrechnung zufolge wird sich dieser Bestand von 2016 bis 2040 noch einmal fast halbieren (minus 41,4 Prozent). Die Zahl der jährlich fertig gestellten neuen öffentlich geförderten Wohnungen ist von 12.294 im Jahr 2000 auf 3275 im Jahr 2016 zurückgegangen. (Daten von der NRW.Bank).
Hinweis:
Informationen zur Kampagne der Deutschen Caritas unter www.zuhause-fuer-jeden.de.
Dort finden Sie auch eine vom Deutschen Caritasverband in Auftrag gegebene repräsentative Studie "Menschenrecht auf Wohnen" des Marktforschungsunternehmens Ipsos.