Duisburg
(cde)
„Außenwohngruppe
Nova“ steht schlicht auf dem sehr dezenten Schild des neuen Caritas-Hauses in
der Obermarxloher Str. in Duisburg-Neumühl – und das ist Absicht! Denn dieses
Haus ist nicht nur ein Heim für alleinerziehende junge Mütter, sondern es
bietet ihnen und ihren Kindern auch einen besonderen Schutz.
Einrichtungsleitung Kirsten Trumpold erklärt, worum es geht:
„In der täglichen Arbeit in diesem
Bereich fiel uns in den vergangenen Jahren immer wieder der Bedarf an spezialisierten
Einrichtungen für psychisch erkrankte junge Mütter auf. Immer wieder
betreuen wir junge Frauen in unserem Appartementhaus und in der
Wohngruppe Viva, die z.B. an Traumata, Persönlichkeits- oder
Borderlinestörungen leiden. Für diese Frauen ist es häufig schwierig, sich in
Gruppen zu integrieren; zumal auch der vorhandene Personalschlüssel hierfür gar
nicht ausgelegt ist. Die bei diesen Müttern zusammenkommenden Thematiken
„alleinerziehend, jugendlich und psychisch erkrankt“ erfordern eine sehr
individualisierte Betreuung!“
Das erläutert Christa Herold, Teamleitung in der Außenwohngruppe Nova, an einem
konkreten Beispiel: „Borderliner kennen in der Regel nur die Extreme. Sie
befinden sich ständig auf einem höheren Erregungslevel als gesunde Menschen und
stellen dadurch eine enorme Herausforderung für ihr Umfeld dar – sowohl für die
Mitbewohnerinnen, als auch für die Mitarbeiterinnen. Oft verletzen sich selbst.
Nicht in suizidaler Absicht, sondern weil sie nicht gelernt haben, ihre Gefühle
zu benennen. Sie können sich von ihrem Druck nur durch Selbstverletzung
entlasten.“
Deutschlandweit gibt es ca. 80 Mutter-Kind-Einrichtungen, doch nur wenige davon
beschäftigen sich ausschließlich mit diesem Personenkreis. Die beiden explizit
auf psychisch kranke und geistig behinderte Mütter spezialisierten
Einrichtungen in NRW haben entsprechende Wartelisten. Weitere drei
Einrichtungen haben einen Teil ihres Angebotes auf diese Zielgruppe
ausgerichtet und berichten ebenfalls, dass sie überregional angefragt und
belegt werden. Duisburg selbst und die nähere Umgebung halten lediglich
ambulante Angebote oder Formen des betreuten Wohnens für alleinerziehende
psychisch kranke Mütter vor. Kirsten Trumpold: „Im Austausch mit Fachleuten
bestätigen diese regelmäßig unsere Wahrnehmung, dass psychische
Krankheitsbilder bei unseren Klientinnen stetig zunehmen und damit der Bedarf
an entsprechendem Fachpersonal und Facheinrichtungen wächst.“
Mit Unterstützung des Landesjugendamtes und des städtischen Jugendamtes durch Jugendamtsleiter
Thomas Krützberg und Koordinatorin Annette Uelsmann hat nun der Caritasverband
Duisburg ein tragfähiges Konzept für das neue Haus in Neumühl entwickelt: Hier
werden zurzeit sechs Mütter mit ihren insgesamt sieben Kindern betreut. Sie
wohnen in eigenen kleinen Wohnungen mit separaten Kinderzimmern und kochen
gemeinsam in der großen Gemeinschaftsküche. Einmal pro Woche übernimmt jede
Bewohnerin den Küchendienst, während eine andere anschließend ab- und aufräumt
und die Spülmaschine bestückt.
Heute gibt es Käsespätzle und zum
Dessert Früchtejoghurt. Während unten im Esszimmer schon der Tisch gedeckt
wird, ist Anna* in ihrer Wohnung aktiv: Hausputz! „Das Kinderzimmer sieht
chaotisch aus“, warnt die 23-jährige Mutter lachend, doch das überwiegend in
mädchenhaftem Pink gehaltene Zimmer sieht aus wie jedes durchschnittliche
Kinderzimmer, in dem zwei Schwestern im Alter von 3 und 5 Jahren zusammen
leben, schlafen und spielen. Tina* und Lisa* zeigen begeistert ihre Schätze,
lassen sich leidenschaftlich gern fotografieren und hantieren auch gleich in
der kleinen Kinderküche herum, um ein Mahl aus Plastik-Pommes und Gummi-Paprika
zu servieren.
Strahlend posieren Sie vor einem kleinen Prinzessinnen-Schloss (Pink!) und
zeigen stolz Familienfotos an der Wand. Sie fühlen sich in ihrem neuen Zuhause
sichtlich wohl und hüpfen freudig die Treppe herunter, als das Essen fertig
ist. Mutter Anna schließt die Tür hinter sich ab, die ein gelbes Schild
aufweist: Zickenzone! „Immerhin wohnen hier drei Frauen“, schmunzelt sie und
erzählt, dass das Schild ein Geschenk ihres Freundes sei. Der Vater ihrer
beiden Töchter schaut auch vorbei und wird stürmisch von seinen Mädchen
begrüßt.
Im gemeinsamen Esszimmer füttern derweil junge Mütter ihre Babys und
Kleinkinder und können sich bei Bedarf an eine der Erzieherinnen wenden. Es
herrscht eine ruhige Atmosphäre, das Miteinander scheint harmonisch.
Dennoch: „Für mich ist das hier nur eine Durchgangsstation“, stellt eine junge
Frau klar. „Ich bin zu Beginn meiner Ausbildung schwanger geworden und habe den
Fehler gemacht, zu meinem Freund zu ziehen. Das war keine gute Idee…“ deutet
sie an und erklärt dann nur ganz knapp: „ Hier habe ich Schutz gefunden. Ich
habe hier ein Dach über dem Kopf, kann mich mit meinen Sachen einrichten, dann
fühle ich mich schon sicherer. Ich werde zügig meine Ausbildung beenden und
dann in eine eigene Wohnung ziehen.“ Liebevoll reicht sie ihrem kleinen Sohn
ein weiteres Löffelchen Brei.
Wer in dieses Haus ziehen darf, entscheidet das jeweils zuständige Jugendamt,
erklärt Teamleitung Christa Herold. Und das wird sofort aktiv, wenn sich der
Verdacht einer „Kindeswohlgefährdung“ andeutet. Doch eine Voraussetzung muss
erfüllt sein: Trotz psychischer Probleme müssen diese jungen Bewohnerinnen in
der Lage sein, sich selbst um ihre Kinder kümmern zu können. Allen ist dabei
gemein, dass sie außerhalb dieses Hauses kein soziales und funktionierendes
Netz haben, das sie auffangen oder unterstützen könnte: Als junge Mutter ohne
Ausbildung 24 Stunden lang allein für zwei lebhafte Kinder verantwortlich zu
sein – das kann so erschöpfen und überfordern, dass man sich irgendwann nur
noch ins Bett verkriecht und die Decke über die Ohren zieht. Während die Kinder
sich selbst überlassen sind und unbezahlte Rechnungen aus den Schubladen
quellen…
Oder: Wenn man selber ohne Liebe und
Zuwendung bei emotional instabilen Eltern aufgewachsen ist, dann muss man den
Umgang mit sich, seinen Gefühlen und vor allem den liebevollen Umgang mit
seinem Baby erst lernen. Eine junge Bewohnerin, die vor ihrer Schwangerschaft
mit Depressionen zu kämpfen hatte, ist hier in der Lage, den liebevollen Umgang
abzuschauen, nachzuahmen und schließlich sogar selbst Zugang zu den
entsprechenden Gefühlen zu finden.
An sogenannten Team-Tagen formulieren die jungen Frauen zwischen 19 und 25
(auch eine 31-jährige Bewohnerin ist dabei) persönliche Ziele – für sich als
Frau, für sich als Mutter. Und sie definieren, welche kleinen Schritte zu dem
gewünschten Ziel führen. Oberste Priorität hat dabei bei allen: Die
Selbstständigkeit! Und hier stellt Christa Herold klar: „Diese jungen Frauen
sind tapfer und zäh, sie sind gewillt! Sie bringen täglich eine ungeheure
Disziplin auf und darauf können sie sehr stolz sein!“
So ist für eine junge Mutter zum Beispiel ein konkretes Ziel, ihr Kind täglich
pünktlich in den Kindergarten zu bringen, wo es gut betreut wird. Dadurch
gewinnt sie Zeit für sich und verspürt ein Erfolgserlebnis, das sie zu weiteren
Schritten motiviert. Durch einen gut organisierten Tagesablauf bekommen die
Frauen eine Struktur, die Halt gibt. Unterstützt werden sie dabei in
Schichtdiensten von insgesamt drei Sozialarbeiterinnen, einer Erzieherin, einer
Hauswirtschaftskraft und ab August auch noch von einer Familienpflegerin.
Thomas Krützberg, Jugendamtsleiter Duisburg, hat dieses Konzept von Anfang an
unterstützt und nennt das Caritas-Angebot gar einen „Solitär in der
NRW-Landschaft“, eine Einrichtung, die er gerne belege.
Das freut nicht nur das engagierte Team rund um Kirsten Trumpold und Christa
Herold, davon profitieren vor allem auch
die jungen
Mütter und ihre Kinder, die in ihrer ganz besonderen Situation eine angemessene
Rund-um-Unterstützung brauchen, wie es der Caritasverband Duisburg mit
seinem komplexen Netzwerk beispielhaft leisten kann. [Claudia Weiss]
*
Namen geändert
Pressemitteilung
Presse-Info 106 / 2012 : Bedarf erkannt: Caritasverband Duisburg eröffnet Mutter-Kind-Haus für psychisch erkrankte Frauen
Erschienen am:
08.08.2012
Beschreibung