Ohne Bindung funktioniert nichts!
Die 37-jährige gelernte Erzieherin arbeitet seit 2007 beim Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM) in Gelsenkirchen in der ambulanten Erziehungshilfe.
Was sind die Ursachen dafür, dass die Menschen im Alltag nicht zurechtkommen?
Antje Reß: Viele der Menschen, die wir mit HOT begleiten sind einfach überfordert - mit einem Kind würden sie´s vielleicht noch schaffen, aber nicht mit zwei oder drei. Das sind alles Faktoren, die dazu führen, dass der Alltag aus dem Ruder geraten kann. Viele haben von zu Hause einfach nicht gelernt ihr Leben und ihren Alltag zu organisieren. Das zieht sich durch Generationen, und man kriegt das irgendwie nicht unterbrochen, man muss eben noch mal ganz gezielt drangehen. Hinzu kommen Traumatisierung und andere Belastungsfaktoren in der Kindheit, gewisse Lebensereignisse wie Tod zum Beispiel. Da fallen Familien dann in ein Loch, aus dem sie alleine auch nicht mehr herauskommen. Arbeitslosigkeit ist auch ein Grund, verbunden mit Geldproblemen. Wir haben mit psychischen Erkrankungen zu tun, aber auch mit kognitiven Problemen - weil wir ja auch teilweise mit Menschen mit einer Behinderung zusammenarbeiten.
Wie hilft HOT?
Antje Reß: Meistens haben die Familien einen hohen Leidensdruck und wollen Veränderung, kriegen das aber alleine nicht hin, weil oft von der Gesellschaft gefordert wird, dass alles schnell passieren soll. HOT funktioniert in ganz, ganz kleinen Schritten und kann dem Tempo der Veränderung angepasst werden. Ein großes Thema ist immer der Haushalt. Der macht sich eben nicht von alleine. Wir haben teilweise Familien, die sagen: "Nee, im Haushalt wollen wir nichts ändern, wir wollen lieber das und das und das machen". Aber häufig merkt man, dass das nur Ausflüchte sind, weil sie einfach total überfordert sind und weil das, was man ihnen bislang anbieten konnte, für sie nicht umsetzbar war.
Das klingt nach eher mühsamen Erfolgen.
Antje Reß: Wir arbeiten auch mit Familien, die häufige Kontaktabbrüche haben, die überhaupt kein intaktes Familiensystem mehr haben und die das gewohnt sind, dass immer wieder Leute gehen - die einen auch ein Stück weit testen: Bleibt die an meiner Seite oder geht die wieder? Ist das auch eine von vielen und ich muss mich gar nicht anstrengen? Ist die wirklich an mir interessiert oder ist die nur daran interessiert, weil die damit ihr Geld verdient? Ob in der sozialpädagogischen Familienhilfe, in der Arbeit mit der Familie oder als HOT-Trainerin, ist ganz entscheidend der Bindungsaufbau. Weil ohne Bindung funktioniert nichts und wir müssen uns auf die Familien einlassen. Wir müssen damit rechnen, dass es Rückschläge gibt, aber wir bleiben trotzdem dran.
Wer muss mitspielen damit die Hilfen, die Sie im HOT-Projekt anbieten auch wirklich greifen?
Antje Reß: In erster Linie ist die Motivation der Familie entscheidend, die muss mitspielen. Ohne Motivation ist keine Veränderung möglich. Andererseits muss aber auch von der Gesellschaft - wie zum Beispiel vom Jugendamt der Bedarf gesehen werden. Und es muss akzeptiert werden, dass Erfolge nur in kleinen Schritten möglich sind, dass man das erarbeiten muss mit den Familien. Wichtig ist auch ein Helfersystem, dass man vernetzt ist mit verschiedenen Institutionen. Als HOT-Fachkraft hat man den anspruchsvollen Auftrag gemeinsam mit den Familien, alles rund um den Haushalt und Alltag zu organisieren. Und wir schauen uns das System sehr genau an: Was funktioniert mit der Familie, wie ist das umsetzbar? Rückschläge werden einkalkuliert, es wird nicht davon ausgegangen, dass alles sofort funktioniert.
Was war Ihr schönstes Erlebnis bei der Begleitung einer Familie?
Antje Reß: Da ist eine Familie, die mich praktisch mit offenen Armen empfangen hat und gesagt hat: Da kommt endlich jemand, der hilft uns. Diese Familie brauchte einfach nur jemanden, der sich in Ruhe mit ihnen hinsetzt und sortiert: Was muss gemacht werden? Wie soll´s gemacht werden? Sie waren dann auch hochmotiviert und haben in diesem Prozess eigene Ideen entwickelt. Zum Beispiel: Wie soll das Kinderzimmer aufgeräumt sein, was haben die Eltern zu tun und was haben die Kinder zu tun, was wird zusammen gemacht? Selbst als Rückschläge kamen, haben sie eigene Ideen entwickelt - aus dieser Situation heraus. Das Schönste war am Ende, dass die Kinder diese leuchtenden Augen hatten und gesagt haben: Wir können in unserem Zimmer wieder spielen und der Teddybär, der sieht ja auf einmal ganz toll aus in der Ecke, wo der jetzt sitzt, und dass es alles irgendwie glänzt, und wir wissen, wo was liegt.
Die Fragen stellte Christoph Grätz.
Info:
Mit den Jugendämtern in Oberhausen und Hattingen hat die Caritas bereits Kooperationsvereinbarungen geschlossen.