Der langjährige Diözesan-Caritasdirektor und Essener Dompropst, ein damals weit bekannter, innovativer Caritas-Mann, eröffnete 1988 in Essen die bundesweit erste katholische Beratungsstelle für HIV-Infizierte - zu einem Zeitpunkt, als es angesichts der "Geißel Gottes" viel Panik und wenige Hilfsangebote gab.
Ende Februar 1988 waren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 81.433 Aids-Fälle gemeldet worden - die Zahl war innerhalb eines einzigen Monats um mehr als 4.000 Infizierte gestiegen. Für NRW sprach der damalige NRW-Gesundheitsminister Hermann Heinemann 1989 von 256 Aids-Todesfällen und weiteren 399 als Aids-krank Gemeldeten. Es herrschte Panik und Diskriminierung. Man hielt sich die Betroffenen vom Leibe, beäugte sie misstrauisch als Homosexuelle und versagte ihnen die Hilfe, die sie angesichts der Erschöpfungskrankheit doch so dringend benötigten - nicht erst, wenn die Krankheit ausgebrochen war. Schweigen und Einsamkeit begleiteten die Infektion, die oft sogar vor der Familie geheim gehalten wurde.
Im April 1991, drei Jahre nach Gründung ihrer Aids-Beratung, bot die Caritas in Essen ein zweitägiges Fachsymposium an. Es sei "Ausdruck unseres Willens, die Aids-Problematik als Herausforderung für Caritas und Kirche anzunehmen", schrieb Günter Berghaus in der Einladung, "wir möchten viele Menschen sensibilisieren und informieren, um gemeinsam der Not und dem Leiden Aids-erkrankter und HIV-infizierter Menschen zu begegnen."
Im selben Jahr kündigte Berghaus die Errichtung eines Pflege-Hospizes mit 15 Pflegeplätzen in Duisburg-Hamborn an, das an eine Sozialstation und die Kirchengemeinde angebunden werden solle. Ungeachtet der allgemeinen Berührungsängste gegenüber Aids-Kranken appellierte er an die Mitarbeiterinnen der Caritas-Konferenzen, eine ehrenamtliche Gruppe aufzubauen, die sich um die Kranken kümmern sollte.
Mit Fantasie und Einfühlungsvermögen wurden in Essen weitere Hilfen aufgebaut: In der Hautklinik der Universität Essen ein eigenes Beratungszimmer für Menschen mit HIV und anschließend noch ein Patientencafé, um Hemmschwellen zur Beratung zu senken. Oder ein Caritas-Musikwettbewerb für Nachwuchs-Bands in NRW zum Thema "Liebe und Sex im Zeichen von Aids" - sechs Bands durften schließlich ihre eigens für den Wettbewerb geschriebenen Musikstücke in Essen präsentieren. 1996 ging man dann mit elf HIV-Positiven und einer Krankenschwester samt ihrem roten Medikamentenköfferchen auf einen von Rotary und Sparkasse gesponserten Segeltörn nach Dänemark. Das Ziel: Nette Leute kennenlernen, mal auf andere Gedanken kommen, einfach etwas Schönes erleben. Der begleitende Skipper antwortete auf die Frage, ob er denn keine Angst vor Ansteckung hätte, in genau zwei Worten: "Ach was." Die Neu-Segler allerdings tauschten sich auf dem Törn auch darüber aus, wie ablehnend die Gesellschaft nach wie vor reagiere auf Krankheit, Aids und Homosexualität.
Nachdem in Essen der Anfang gemacht war, nahm die Aids-Aufklärungsarbeit in NRW schnell an Fahrt auf, auch wenn konkrete Hilfen für Erkrankte eher zögerlich aufgebaut wurden. Im Mai 1989 sprachen sich in Aachen Mitarbeiter "von der Basis" und der Anstellungsträger einstimmig dafür aus, weiterhin in der Aids-Prävention tätig bleiben zu wollen. Aufklärung über Aids und die damit zusammenhängenden Fragen der Sexualität, aber auch über Leiden und Sterben seien ein eigener kirchlicher Auftrag, an dessen Umsetzung sich neben Land und Kommunen auch die Kirche finanziell beteiligen müsse.
Im Diözesan-Caritasverband Köln stand die psychosoziale, ambulante und stationäre Versorgung Aids-Kranker 1989 im Mittelpunkt einer Fachtagung. Über 100 Teilnehmende aus Caritas, Fachverbänden und Pfarreien informierten sich, ohne allerdings über die "Prophylaxe" hinaus schon eigene Hilfen anbieten zu können.
Im Jahr 1993 zog der Aachener Bischof Klaus Hemmerle nach und weihte in der Pfarrei St. Josef in Mönchengladbach die Wohngemeinschaft "Oase e.V." für aidskranke Drogenabhängige ein. Den Anstoß dafür hatten hartnäckige Jugendliche der Pfarrei nach einer Projektwoche zur Aids-Problematik gegeben. Hemmerle ermutigte bei der Einweihung zum Einsatz für die Erkrankten, zumal es unter den Pfarrangehörigen immer noch Skeptiker gegenüber dem Projekt gebe.
Auch in Köln-Lindenthal öffnete 2020 nach achtjähriger Planungszeit das "Haus Lukas" als Wohn- und Pflegehaus für aidskranke Menschen seine Pforten. Die lange Projektphase war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass Caritas und SKM in Köln ursprünglich ein Hospiz errichten wollten, dann aber dank besserer Behandlungsmethoden gegen die Immunschwächekrankheit ein Wohn- und Lebenshaus einweihen konnten.
Inzwischen gehört die Aids-Beratung bei der Caritas längst zum Standardangebot. Besonders gefragt: Die anonymisierte, kostenlose Online-Beratung.
Cordula Spangenberg
Seit mehr als 30 Jahren findet jedes Jahr am 1. Dezember der Welt-Aids-Tag statt. Er bekräftigt die Rechte der HIV-positiven Menschen weltweit und ruft zu einem Miteinander ohne Vorurteile und Ausgrenzung auf. Außerdem erinnert der Welt-Aids-Tag an die Menschen, die an den Folgen von HIV und Aids verstorben sind.
Infos: Welt-AIDS-Tag / Welt-AIDS-Tag