Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland auf einem Rekordtief. Aber viele Menschen können, trotz Arbeit, von ihrem Lohn nicht leben. Das gilt insbesondere in Nordrhein-Westfalen, wie der aktuelle Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW zeigt. 762.000 Menschen, knapp 9 % der Erwerbstätigen, zählen hier zu den "working poor". Bundesweit sind es knapp 8 %.
Immer mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen haben einen Job ohne Perspektive; zu wenig Einkommen und eine mangelhafte soziale Absicherung. 762.000 Erwerbstätige sind inzwischen von Armut bedroht, weil sie weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Bevölkerung verdienen. Derzeit sind das unter 1.035 Euro im Monat. Vor zehn Jahren waren es noch 568.000 Erwerbstätige.
Im Ruhrbistum gingen im März 2019 22,8 % aller Erwerbsfähigen im Hartz-IV-Bezug einer Erwerbstätigkeit nach. Das entspricht 54.551 Menschen. Sie sind als sogenannte "Aufstocker" auf ergänzende, steuerfinanzierte Hartz-IV-Leistungen angewiesen.
Der Staat ist gefordert, wenn Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können
Bei 5.246 Menschen, die im Ruhrbistum in Vollzeitjobs arbeiten, ist das Einkommen sogar so niedrig, dass es nicht einmal zur Sicherung des Existenzminimums reicht. Hinzu kommen weitere 16.952 "Aufstocker", die in Teilzeit arbeiten. Den größten Anteil an den "Aufstockern" machen im Ruhrbistum 20.485 Minijobber aus, die nicht mehr als 450 Euro im Monat verdienen.
"Es ist ein Skandal, dass so viele Menschen auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt für sich oder ihre Familien angewiesen sind", betont Sabine Depew, Diözesan-Caritasdirektorin im Bistum Essen. "Hier betreiben Unternehmen Niedriglohnpolitik auf dem Rücken ihrer Beschäftigten und zudem auf Kosten der Allgemeinheit, konkret des Steuerzahlers. Da muss der Staat unbedingt gegensteuern."
Frauen besonders oft zu Nidriglöhnen beschäftigt
Besonders erschreckend ist nach Ansicht der Freien Wohlfahrtspflege NRW, dass 17 % der Vollzeitbeschäftigten in NRW nur einen Niedriglohn erhalten. Jede vierte Frau ist hiervon betroffen. Und das hat Auswirkungen: "Kinderarmut hat ihre Ursache in Elternarmut, ganz besonders in der Armut alleinerziehender Frauen", erklärt Depew. Laut dem aktuellen Sozialbericht NRW sind 40 % aller unter 15-Jährigen in Gelsenkirchen von Hartz IV abhängig (NRW: 18,5 %), in Essen 33, in Duisburg 29, in Mülheim und Oberhausen knapp 28 %.
Damit Alleinerziehenden der Ausstieg aus schlecht entlohnter Beschäftigung gelingt, brauchen sie gezielte Beratung und neue Möglichkeiten der berufsbegleitenden Weiterqualifizierung, zudem müssten Kinderbetreuungsangebote so ausgebaut werden, dass sie den besonderen Bedürfnissen berufstätiger Eltern gerecht würden.
Hintergrund:
Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den "Arbeitslosenreport NRW". Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit und des Statistischen Bundesamts. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und zur Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW sowie übersichtliche Datenblätter mit regionalen Zahlen können im Internet unter www.arbeitslosenreport-nrw.de heruntergeladen
werden. Der Arbeitslosenreport NRW ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM) der Hochschule Koblenz.
In der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW haben sich 16 Spitzenverbände in sechs Verbandsgruppen zusammengeschlossen. Mit ihren Einrichtungen und Diensten bieten sie eine flächendeckende Infrastruktur der Unterstützung für alle, vor allem aber für benachteiligte und hilfebedürftige Menschen an. Ziel der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist die Weiterentwicklung der sozialen Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Sicherung bestehender Angebote. Die Freie Wohlfahrtspflege NRW weist auf soziale Missstände hin, initiiert neue soziale Dienste und wirkt an der Sozialgesetzgebung mit.