"Es ist fahrlässig und gefährlich, keine gesetzliche Grundlage für die Umsetzung des Anspruchs auf Ganztagsförderung in der Schule zu schaffen", kritisiert Martina Lorra, Referentin für die Offenen Ganztagsschulen beim Essener Diözesan-Caritasverband. "Immer mehr freie Träger werden sich aus der OGS zurückziehen müssen, und die Leidtragenden fehlender Qualitätsstandards sind vor allem die Kinder", gibt die Expertin zu Bedenken. Am Dienstag, 5. März, hatte das NRW-Landeskabinett beschlossen, das geplante Ausführungsgesetz für Qualitätsstandards im Offenen Ganztag nicht zu realisieren. Stattdessen wurden lediglich fachliche Grundlagen gebilligt.
Rechtsanspruch ab 2026
Hintergrund ist, dass ab August 2026 für alle Kinder, die in die erste Klasse eingeschult werden, das Recht auf einen Platz in der Ganztagsförderung gilt. Der Anspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet.
Die Caritas als Träger zahlreicher Offener Ganztagseinrichtungen an Grundschulen (OGS) im Ruhrgebiet hatte sich vom angekündigten Ausführungsgesetz deutliche Verbesserungen versprochen, zum Beispiel hinsichtlich des Raumangebotes, des Personalschlüssels, der Gruppengrößen sowie der fachlichen Qualifikation der Mitarbeitenden. "Das ist eine vertane Chance!", sagt Caritas-Referentin Lorra, "wir brauchen Rahmenbedingungen für ein Ganztagsangebot, das die Kinder mit ihrem Recht auf individuelle Förderung, auf Bildung und Betreuung in den Mittelpunkt rückt."
Schlechte Arbeitsbedingungen
Die seit vielen Jahren offensichtlichen Problemlagen, wie zum Beispiel eine hohe Anzahl von Mitarbeitenden in Teilzeit, die Beschäftigung gering qualifizierten Personals, niedrige Entlohnung und eine damit einhergehende überdurchschnittliche Personalfluktuation, würden nicht weiter angegangen. Lorra bemängelt, dass auch die Finanzierung nicht auf sichere Füße gestellt werde: "Schon jetzt stehen viele Träger der OGS finanziell mit dem Rücken zur Wand, weil Tarifsteigerungen nicht refinanziert sind oder Projektmittel auslaufen." Oft müssten zähe Verhandlungen mit Land und Kommunen geführt werden, wer die Kostensteigerungen zahle.
Nicht nur das könnte dazu führen, dass sich mehr und mehr freie Träger aus der OGS verabschieden, befürchtet die Caritas-Referentin. Denn es droht Konkurrenz von Anbietern, die Lohndumping betreiben und keinerlei Qualitätsansprüche erfüllen. Grund dafür ist die Regelung, dass bereits bestehende OGS auch ohne Prüfung zugelassen werden sollen. Lorra: "Klar ist: Die Qualität der Ganztagsangebote wird weiterhin vorrangig von freiwilligen Leistungen der einzelnen Kommunen und Kreise abhängen."
Recht auf gesunde Entwicklung
Die Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege (LAG FW) hatte bereits 2017 auf diese Problematik "Gute OGS darf keine Glückssache sein"! öffentlich hingewiesen. Lorra spricht von einer weiteren "Bildungskatastrophe", wenn Ganztagsförderung auf Ganztagsverwahrung reduziert werde. "Das Recht der Kinder auf eine körperlich, geistig sowie sozial und emotional gesunde Entwicklung darf nicht Glückssache sein!"
Caritas als Träger von OGS:
Im Netzwerk der Caritas im Bistum Essen gibt es mehr als 900 Mitarbeitende in der OGS, in der Regel in Teilzeit. Etwa ein Viertel davon sind Fachkräfte. Die OGS betreuen derzeit rund 6.000 Kinder.
Nicola van Bonn